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Produktionsausfall: IT-Panne bei VW: „Die Folgen sind nicht fatal, aber extrem teuer“

Eine IT-Störung hat die Produktion bei VW zeitweise lahmgelegt. Heiko Weber vom Beratungsunternehmen Berylls glaubt, dass so etwas häufiger passieren wird. Die Abhängigkeit von IT-Systemen sei extrem groß und ein Ausfall koste die Hersteller viel Geld

Heiko Weber

Heiko Weber ist Partner bei Berylls Strategy Advisors. Die Beratungsfirma ist auf die Autoindustrie spezialisiert

© PR

Wie kann so etwas passieren?
HEIKO WEBER: Es ist erwartbar, dass solche Dinge passieren. Das werden wir in der Zukunft noch oft sehen. Sämtliche Abläufe in der Produktion und in der damit zusammenhängenden Supply Chain sind sehr komplex. Die Folge der durchgängigen Digitalisierung dieser Prozesse ist, dass die Abhängigkeit von all diesen IT-Systemen so groß wird, dass ein Ausfall kaum mehr zu kontrollieren ist. Solch ein Ausfall kann zum Beispiel aus einem Routinevorgang erwachsen, bei dem etwas nicht bedacht worden ist. In der Regel ist menschliches Versagen im Spiel. Man kann sagen: Never touch a running system: Wenn ich nichts tue, dann laufen die Dinge auch. Aber natürlich muss man regelmäßig etwas tun und damit steigt das Risiko.

Ist die Autoindustrie besonders sensibel für solche Ausfälle?
Ich halte die Autoindustrie für führend bei der Digitalisierung von Produktionsnetzwerken. Netzwerke bedeutet, dass die Autohersteller Zulieferer, Logistik- und Instandhaltungsdienstleister mit in ihre IT-Systeme einbinden. Die Autoproduktion ist deshalb so stark digitalisiert, weil die Effizienz- und Perfektheitsansprüche der Autohersteller besonders hoch sind. Das führt dazu, dass die Systeme sehr komplex sind.

So komplex, dass sie nicht mehr beherrschbar sind?
Das glaube ich nicht. Bei allem, was IT-technisch eingeführt wird, sind Autohersteller sehr vorsichtig. Die Systeme werden an vielen Stellen, von vielen Beteiligten durchdacht. Wenn man jetzt die Frage stellt, ob das so weit geht, dass die Systeme undurchschaubar werden, dann ist das wahrscheinlich so. Für einen einzelnen Menschen ist solch ein System nicht mehr durchschaubar. Das muss noch keine apokalyptischen Folgen haben. Aber es ist eine riesige Herausforderung. Und ein Vorfall wie jetzt bei Volkswagen muss immer ein Anlass sein, daraus zu lernen.

Ist solch eine Panne ein Hinweis darauf, dass ein System im Grundsatz falsch konstruiert ist?
Das sehe ich nicht. Ich halte eine gutgemachte End-to-End-Digitalisierung nach wie vor für einen der wichtigsten Hebel, wenn die Autoindustrie besser werden will.

Wie fatal sind die Folgen einer solchen Panne?
Die sind nicht fatal, aber auf jeden Fall extrem teuer. Man muss nur einmal überschlagen wie viele tausend Autos nicht gebaut werden können. Da können Milliardenbeträge zusammenkommen. Die Stückzahlen, die ausgefallen sind, lassen sich nicht so leicht nachholen. Das mag im Augenblick etwas einfacher sein, weil viele Werke nicht ausgelastet sind, eine zusätzliche Wochenendschicht kann derzeit tatsächlich einiges wieder hereinholen.

Blick auf das VW-Werk in Wolfsburg

Eine Störung mit unbekannter Ursache und weltweiten Auswirkungen: VW hatte in der Nacht mit einem umfassenden Produktionsausfall zu kämpfen. Am Morgen dann Entwarnung.

Sie haben gesagt, dass das Unternehmen daraus lernen sollte. Wie?
Die Ursache oder Ursachen analysieren, Backupsysteme installieren, Prozesse ändern. Das können Hardwaremaßnahmen sein. Es können Regularien sein, dass man zum Beispiel vor einem Software-Update bestimmte Überprüfungen machen muss. Es kann auch eine Softwareabsicherung sein, bei der eine Software bestimmte Überprüfungen automatisch vornimmt.

Sind für eine sichere IT mehr Investitionen nötig?
Die Autohersteller investieren schon sehr viel in IT und den Ausbau der Digitalisierung. Ich habe den Eindruck, dass sie sich dessen sehr bewusst sind, dass sie hier viel investieren müssen.

Volkswagen hat – wie Toyota vor einigen Wochen – erklärt, dass es keine Hinweise auf einen Angriff von außen gäbe. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Ausfälle zeigen, wie gefährdet die IT-Systeme für Cyber-Angriffe sind.
Die Geschehnisse zeigen, wie unglaublich abhängig die Autoproduktion von funktionierenden Systemen ist. Dadurch, dass das Risiko so hoch ist, ist auch das Risiko eines externen Angriffs groß. Cybersicherheit ist eine der wichtigsten Herausforderungen die Autohersteller im Augenblick haben. Dieser Gefahr sind sie sich durchaus bewusst.

Wenn die Panne eingetreten ist – was kann man machen, um sie rasch zu reparieren?
Die Tatsache, dass es nur einen halben Tag gedauert hat, bis VW das Problem in den Griff bekam, lässt darauf schließen, dass es ein Problem in einem zentralen System war – kein Fehler aus der Peripherie, der sich fortgepflanzt hat. Und dass das Unternehmen schnell reagiert hat. Wichtig sind auf jeden Fall interne Ressourcen in der IT, die das System verstehen. Hier darf man sich nicht nur auf Dienstleister verlassen. Gleichzeitig braucht man Dienstleistungsverträge, die sicherstellen, dass die IT-Firmen jederzeit zur Verfügung stehen. Sicherlich haben bei VW mindestens 30 bis 40 Leute schlaflose Nächte gehabt. Aber ich brauche – wie in allen Krisen – auch eine starke Taskforce in der Führungsspitze, die die Lage erfasst und die Antwort darauf organisiert.

Das zumindest haben viele Unternehmen in den Krisen der vergangenen drei Jahre eingeübt. Haben sie den Eindruck, dass Resilienz und Krisenreaktion in der Autoindustrie heute funktionieren?
Sicherlich noch nicht durchgängig, gerade auf den mittleren Ebenen gibt es noch die Illusion, dass man wieder zu dem ruhigen Leben von früher zurückkehren werde. Aber in den Führungsebenen ist das angekommen. Die Leute, mit denen wir zu tun haben, sind sehr Taskforce-erprobt. Es gibt da niemanden mehr, der glaubt, dass in zwei Jahren wieder die alten Funktionsweisen gelten.

Gute Krisenreaktion verschafft dem Unternehmen aber nicht unbedingt Vorteile im Wettbewerb.
Das stimmt, schnelles Reagieren auf Risiken ist leider ein Must-have. Aber wenn ich das nicht beherrsche, bin ich bald weg vom Fenster. Allerdings: Wenn ich als Führungskraft in der Lage bin, schnell auf Krisenmodus umzuschalten, dann verschafft das dem Unternehmen Agilität und Flexibilität. Und die wiederum zahlen sich auch im Wettbewerb aus.

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