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Opas Traum, Hirnschaden, Rekord: Tua Tagovailoa bekriegt die größte Gefahr des Footballs

Opas Traum, Hirnschaden, Rekord Tua Tagovailoa bekriegt die größte Gefahr des Footballs

Tua Tagovailoa muss beinahe seine NFL-Karriere wegen schwerer Kopfverletzungen an den Nagel hängen. Nun sorgt der Quarterback mit seinen Miami Dolphins für nie dagewesenes Spektakel, kämpft gegen die größte Gefahr des Footballs - und lässt einen Traum seines verstorbenen Großvaters wahr werden.

In ʻEwa Beach, Hawaii schlief Tuanigamanuolepola Donny Tagovailoa als kleiner Junge stets mit einem Football unter dem Arm. Allein aufgrund seines Namens scheint er schon damals zu Größerem auserkoren. Der Großvater vom Quarterback der Miami Dolphins, der in der NFL nur Tua gerufen wird, hatte 28 Enkelkinder. Aber nur von einem träumte er, dass eines Tages sein Name "in der ganzen Welt bekannt sein wird", wie "Sports Illustrated" Ende 2018 berichtete. Der Großvater starb, bevor seine Prophezeiung in Erfüllung ging. Doch heute fegt sein 25-jähriger Enkel mit seinem bislang ungeschlagenen Team durch die NFL - obwohl Tua Tagovailoa wegen schwerster Kopfverletzungen vor einem Jahr fast mit dem Football aufhören musste.

Dass es zu den großartigen, ja spektakulären und historischen Auftritten in dieser Saison kommen sollte, war nicht absehbar. Obwohl Tagovailoa als einer der besten College-Spieler des Landes als Fünfter im Draft 2020 in die Liga ging, schien er nicht mit dem anspruchsvolleren Spiel der NFL klarzukommen. Brian Flores, der frühere Cheftrainer der Dolphins, warf ihn einige Male aus der Startaufstellung. Tua war auf dem besten Weg, ein Flop zu werden. Und dann gab es da ja auch noch das folgenhafte Jahr 2022 - mit der großen Gefahr der NFL, die so gern verschwiegen wird.

Rückblick. Tagovailoa muss etwas beichten. Im April dieses Jahres spricht der junge Quarterback über seine Gehirnerschütterungen aus der vergangenen Saison und gesteht, über ein frühzeitiges Karriereende nachgedacht zu haben. Doch Tua beißt sich durch. Spricht immer wieder mit Ärzten und seiner Familie. Sagt, er möchte noch so lange spielen, bis sein Sohn (knapp ein Jahr alt) wirklich versteht, was sein Dad dort auf dem Football-Feld treibt.

Tua und die Gefahr der Kopfverletzungen in der NFL

Gleich dreimal zuckt die NFL-Welt in der Spielzeit 2022/23 kurz nacheinander wegen Tagovailoa zusammen. Alles beginnt am dritten Spieltag mit der Partie gegen die Buffalo Bills -dem Gegner der Dolphins an diesem Sonntag (19 Uhr/live bei RTL+). Der Quarterback wird nach einem Wurf im Zurücklaufen leicht umgeschubst, kann den Fall aber nicht abbremsen und knallt mit dem Hinterkopf auf den Boden. Er rappelt sich benommen auf - dann brechen ihm die Beine weg. Tagovailoa hat deutliche Gleichgewichtsprobleme, fällt, muss von Mitspielern gestützt werden und verlässt das Feld. Nach einer Untersuchung darf er ins Spiel zurückkehren und später heißt es, sein Stolperer sei durch eine Rückenverletzung verursacht worden. Eine Gehirnerschütterung wird bei dem Vorfall nicht offiziell diagnostiziert.

Die NFL ist ein hartes, oft unbarmherziges Business. Nur vier Tage später geht es für die Dolphins gegen die Cincinnati Bengals. Tua steht auf dem Feld, natürlich. Mitte des zweiten Viertels wird er hart umgerissen, bevor er den Ball loswerden kann. Knallt diesmal noch heftiger mit dem Hinterkopf aufs Grün. Der Quarterback verliert kurz das Bewusstsein, seine Finger verkrampfen sich deutlich. Das Phänomen heißt fencing response (Fechtreaktion) und weist typischerweise auf ein ernstes neurologisches Problem hin. Die gruseligen Bilder gehen um die Welt.

Tagovailoa wird nach seinem Hit im Bengals-Spiel vom Platz getragen und mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert. Die NFL ist geschockt, es folgt ein Aufschrei von Spielern und Fans. Hätte der Quarterback überhaupt spielen dürfen? Dr. Bennet Omalu - der erste Arzt, der Erkenntnisse über die chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE) bei American-Football-Spielern entdeckte und veröffentlichte - rät Tagovailoa, sofort die Karriere zu beenden. Selbst der Leiter der Task Force für Hirnverletzungen des US-Kongresses, Bill Pascrell Jr., schreibt einen kritischen Brief an NFL-Boss Roger Goodell.

Zwei Gehirnerschütterungen, Saisonaus

Die Liga reagiert und passt wegen Tagovailoas erster Verletzung das Protokoll für Gehirnerschütterungen an. Erst seitdem darf ein Spieler, der während einer Partie Probleme mit dem Gleichgewicht, der Koordination oder dem Sprechen hat, nicht weiterspielen.

Tagovailoa folgt Dr. Omalus Rat nicht. Er macht weiter, kehrt nach einem Monat zurück aufs Feld. Kurz nach dem Spiel gegen die Green Bay Packers am ersten Weihnachtstag stellt sich heraus, dass er eine weitere Gehirnerschütterung erlitt. Sie bleibt zunächst unentdeckt, der Quarterback spielt durch. Nach der Partie kehrt er für den Rest der Saison nicht mehr zurück, seine Zukunft scheint ungewiss.

Kopfverletzungen in der NFL

2013 schien es, als würden Gehirnerschütterungen eine existenzielle Bedrohung für die NFL werden. Die Liga sah sich gezwungen, manchen Schaden einzugestehen, den der Sport den Spielern zugefügt hat, und einigte sich mit ehemaligen Spielern, die wegen Gehirnerschütterungen geklagt hatten, auf eine Milliarde Dollar. Sie führte das sogenannte Concussion Protocol ein, das verhindern soll, dass am Kopf verletzte Profis zu früh wieder aufs Feld zurückkehren. Die Zahl der gemeldeten Gehirnerschütterungen ist seitdem zurückgegangen, und das Thema beherrscht die Gespräche um den Sport nicht mehr.

Doch die Gefahr der Kopfverletzungen lebt weiter. Die Folgen sind teils enorm. Nach mehr als einem Jahrzehnt Forschung sind die möglichen Langzeitfolgen des Hirntraumas von NFL-Spielern allseits bekannt: weitaus höhere Raten von amyotropher Lateralsklerose (ALS), Demenz und Stimmungs- und Persönlichkeitsstörungen als bei Menschen, die kein Football spielen. Auch die degenerative Gehirnerkrankung CTE tritt nach häufigen Kopftraumata auf: Eine Studie der Boston University diagnostizierte sie in 91,7 Prozent der untersuchten Gehirne von ehemaligen NFL-Spielern.

Auf dem Football-Feld können Entscheidungen in Sekundenbruchteilen darüber entscheiden, ob ein Spieler ernsthaft verletzt wird oder nicht. Jeder Football weiß um das Risiko. "Man kann so viele Regeln aufstellen, wie man will, um das Spiel so sicher wie möglich zu machen, aber der Football birgt ein gewisses Risiko und eine gewisse Gefahr", sagt Bengals-Quarterback Joe Burrow kurz nach der Verletzung seines Gegenübers von den Dolphins.

Tagovailoa mit Judo zu Bestleistungen

Tagovailoa ist sich dessen mittlerweile erst recht bewusst. Mit Kampfsport, besonders Judo, versucht der Quarterback die Gefahr seit diesem Jahr zu minimieren, werkelt ganz bewusst am Fallen und Abrollen. Kämpft gegen die größte Gefahr im Football, die man nie ganz aufhalten kann. "Ich bin in dieser Offseason viel gefallen. Wie bei allem anderen auch trainiert man es weiter. Man arbeitet daran - es wird zur Selbstverständlichkeit", erklärt er im April seinen Umgang mit dem Risiko eines möglichen neuen Hits. "Wenn dann eine solche Situation eintritt, ist das nichts Neues für dich."

Die Angst, die Kopfverletzungen könnten Tagovailoas Leistung in dieser Saison beeinflussen, legen sich schnell. Der Quarterback, der trotz der Gehirnerschütterungen im vergangenen Jahr seine bisher beste Spielzeit ablieferte (25 Touchdowns und 3548 Yards) und sogar auf dem Weg war, eine der effektivsten Saisons der NFL-Geschichte zu spielen, bis die Verletzungen ihn stoppten, fegt in den ersten Wochen durch die Liga. Die Offensive der Dolphins zeigt spektakuläre Glanzlichter, angeführt von Tua. Dabei wird es sogar historisch.

Mit 70:20 pulverisierte Miami vor einer Woche die Denver Broncos und stellte damit einen NFL-Rekord auf. Als erstes Team jemals erzielten die Dolphins im selben Spiel 70 Punkte und 700 Yards. Zum Vergleich: Zwei Teams - die New York Jets (675) und die Tennessee Titans (720) - haben in drei gesamten Spielen weniger Yards erzielt als Tua und seine Mannschaft gegen die Broncos (726). Die Partie mutete teilweise an wie ein Computerspiel, Miamis Offensive scheint dieses Jahr kaum zu übertreffen, wenn sie gesund ist.

Tagovailoa - der mit links wirft, obwohl er sonst ein Rechtshänder ist, und der selbst im Krankenbett noch Songs auf seiner Ukulele spielt - brachte gegen Denver seine ersten 17 Pässe allesamt an. Am Ende hat er bei 26 Versuchen nur drei Fehlwürfe. Das Highlight des Tages kam in der ersten Halbzeit, als Tagovailoa den Rookie De'Von Achane mit einem No-Look-Pass zum Touchdown bediente. Dabei schaufelte er den Ball ohne eine richtige Armbewegung zur Überraschung aller zu seinem Mitspieler, "shovel pass" nennen die US-Amerikaner das. Football-Magie, für die sonst eigentlich Super-Bowl-Champion Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs zuständig ist.

Dolphins vor schwerer Hürde

Wenn Tagovailoa vor dieser Partie noch nicht im Gespräch für den MVP, den wertvollsten Spieler der Saison, war, dann ist er es jetzt. Laut "The Athletic" führt der das MVP-Rennen nun sogar an. Und das, obwohl Kritiker vormals gute Leistungen der Dolphins den Receivern Tyreek Hill und Jaylen Waddle zugesprochen hatten, schließlich lag die Stärke von Tuas Wurfarms doch oft, wie die "New York Times" einst schrieb, "irgendwo zwischen einem guten NFL-Backup und einem Assistenztrainer im frühen mittleren Alter".

Zu dieser Saison hat er sich jedoch Muskelmasse antrainiert, sein Wurfarm ist jetzt stärker und er bringt auch lange Pässe an den Mann. Ackern kann der 25-Jährige, der früher von seinem Vater trainiert und teilweise mit Prügelstrafen gezüchtigt wurde. In drei Spielen (drei Siege, natürlich) hat der Spielmacher bereits 1024 Yards und acht Touchdowns (nur Kirk Cousins von den Minnesota Vikings hat einen mehr) geworfen. Tua ist der Kopf des atemberaubendsten Teams der NFL. Das liegt vielleicht auch daran, dass er zum ersten Mal seit dem College in Frank Smith einer aufeinanderfolgenden Saison denselben Offensiv-Coach.

Nun stehen die Dolphins vor ihrer größten Bewährungsprobe in dieser Saison: Bei den Buffalo Bills treffen sie auf eine Defense, die beim 37:3-Sieg gegen die Washington Commanders sieben Sacks, vier Interceptions, eine Fumble-Recovery und einen defensiven Touchdown verbuchen konnte. Tuas Magie wird abermals gefragt sein. Für sein Team ist er unersetzlich, wenn er nur gesund bleibt.

Und so ist Miamis Marschroute für die Saison ist glasklar: Es geht darum, Tuanigamanuolepola Tagovailoa mit allen Mitteln zu beschützen. Das klappt bislang sehr gut. Es gab gegen die Broncos Fans auf der Tribüne, deren Trikots schmutziger waren als das des Spielmachers. Das lag auch an der Geschwindigkeit, mit der er den Ball in dieser Saison durchschnittlich loswird - Liga-Bestwert von 2,2 Sekunden, Mahomes hat 2,5 Sekunden - aber vor allem am Schutz seiner Offensive Line. Alles steht und fällt mit dem Quarterback. Ist er im Januar fit, dürften die Dolphins als einer der Favoriten in die Playoffs gehen. Und der Traum seines Großvaters wird wahr.