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Entwicklungs-Ministerin  - Ihr Plan gegen steigende Flüchtlingszahlen?

Weltweit steigt die Zahl der Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen, auf immer neue Rekordwerte. Auch bei uns steigen die Flüchtlingszahlen rasant, bis August haben 77 Prozent mehr Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt als im Vorjahreszeitraum.

BILD wollte von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (55, SPD) wissen, was sie tut, um diese Entwicklung aufzuhalten.

BILD: Frau Schulze, weltweit sind 110 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Klimawandel, Hunger. Wie viele werden davon nach Deutschland kommen?

Svenja Schulze: „Das kann seriös keiner beantworten. Fakt ist: Drei Viertel der Flüchtlinge fliehen in ihre Nachbarländer, die oft selbst sehr arm sind. Diese Länder brauchen unsere Unterstützung, damit sie die Menschen aufnehmen können.

Grundsätzlich gilt: Wenn wir wollen, dass sich weniger auf den Weg auch nach Deutschland machen, müssen wir mithelfen, dass sie in ihrer Heimat leben können.“

Aktuell steigen die Flüchtlingszahlen bei uns. Viele Bürgermeister funken SOS. Haben die Städte und Kommunen ihre Belastungsgrenze erreicht?

Schulze: „Ich mag diesen Begriff nicht, er strahlt menschliche Kälte aus. Ja, die Kommunen sind stark belastet und deshalb hilft die Bundesregierung ihnen ja auch mit ganzer Kraft.

Warum reden wir aber nicht auch viel öfter über die beeindruckende Solidarität mit Flüchtlingen etwa aus der Ukraine? Mich ermutigt es, wie viele Frauen und Männer sich hierzulande engagieren.

Es ist unsere humanitäre Verpflichtung, dass wir Menschen Schutz vor Krieg bieten. Wo wollen Sie denn da die Grenze ziehen?“

Ein Riesenproblem ist, dass Staaten ihre abgelehnten Asylbewerber nicht zurücknehmen. Warum machen Sie da nicht mehr Druck?

Schulze: „Druck hat schon in der Vergangenheit nichts bewirkt. Moderne Politik, wie wir sie in der Bundesregierung nun vorantreiben, arbeitet stattdessen mit Migrationsabkommen.

Heißt: Wir machen die Einwanderung von Fachkräften aus Ländern wie Marokko oder Ghana einfacher, wenn sie im Gegenzug ihre Staatsbürger zurücknehmen, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben.“

Die EU geht noch einen Schritt weiter. Sie will Tunesien Geld geben, damit die Regierung dort Flüchtlinge aus allen Ländern davon abhält, in die Boote nach Europa zu steigen. Welche Chancen haben solche Abkommen?

Schulze: „Wenn man solche Abkommen schließt, muss ganz klar sein, dass die menschenrechtlichen Standards, zu denen sich Tunesien verpflichtet hat, auch eingehalten werden.“

Menschenrechtsorganisationen kritisieren Tunesien für den brutalen Umgang mit Flüchtlingen.

Schulze: „Deshalb geht ein solches Abkommen nur, wenn sich Tunesien nachweislich an die Genfer Flüchtlingskonvention hält. Das muss dann auch dauerhaft überprüft werden.“

Braucht es einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen?

Schulze: „Wir müssen Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge. Niemand flieht freiwillig.

Die EU sollte deshalb nicht allein in den Grenzschutz investieren, sondern auch in Programme, die dafür sorgen, dass mehr Menschen ihr Land gar nicht erst verlassen müssen oder – wenn das notwendig ist – zu anständigen Bedingungen Zuflucht in der Nachbarschaft finden können“

Schulze mit Teilnehmerinnen einer Flüchtlingskonferenz in ihrem Ministerium. Viele von ihnen waren selbst geflüchtet

Schulze mit Teilnehmerinnen einer Flüchtlingskonferenz in ihrem Ministerium. Viele von ihnen waren selbst geflüchtet

Foto: NIELS STARNICK / BILD

Also sind Sie eine Gegnerin von Zäunen und Mauern?

Schulze: „Zäune und Mauern werden auf Dauer keine Menschen abhalten, die verzweifelt sind. Und wer in ein Schlauchboot steigt und sein Leben auf dem Mittelmeer riskiert, ist verzweifelt.

Deswegen müssen wir die Verzweiflung, also die Fluchtgründe, bekämpfen sowie reguläre Migrationswege eröffnen.“

Friedrich Merz hat gerade behauptet, dass 300.000 abgelehnte Asylbewerber, die aber nicht abgeschoben werden, sich ihre Zähne in Deutschland machen lassen und den anderen Bürgern Arzttermine wegnehmen. Was sagen Sie dazu?

Schulze (schüttelt sich): „Wir reden hier über akute Erkrankungen und Schmerzen. Will Herr Merz ernsthaft einem Flüchtling mit Zahnschmerzen die Behandlung beim Zahnarzt verwehren?

Das ist gegen jede Menschlichkeit. Solche populistischen Sprüche spalten unsere Gesellschaft. Ich hätte vom Chef einer demokratischen Partei erwartet, dass er nicht mit falschen Behauptungen Stimmung gegen die Schwächsten macht.“

Muss sich Merz entschuldigen?

Schulze: „Ich fände das gut.“

Merz sagt aber auch, dass es Pull-Faktoren gibt. Also dass die hohen Sozialleistungen in Deutschland Flüchtlinge anlocken. Stimmt das?

Schulze: „Ich hätte dafür gerne nur einen einzigen Beleg. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge kommt aus Kriegsgebieten! Es ist doch absurd, dass Menschen für einen Zahnarzttermin ihre Heimat verlassen. Sie fliehen vor Bomben und Gewalt.“

CDU und CSU finden, dass Asylbewerber Sach- statt Geldleistungen bekommen sollen. Dann würden weniger nach Deutschland kommen.

Schulze: „Das ist doch schon heute möglich! Jedes Bundesland kann das entscheiden. Warum macht es die Union dann nicht dort, wo sie regiert?

Was CDU und CSU nicht sagen, ich aber aus den Bundesländern höre: Sachleistungen sind ein hoher bürokratischer Aufwand. Deshalb wird es so gut wie nicht gemacht.“

Finanzminister Christian Lindner (FDP) prüft gerade, wie die Regierung blockieren kann, dass Asylbewerber Teile ihrer Geldleistungen in ihre Heimat überweisen. Denn diese Zahlungen wären ein Anreiz für mehr Flucht.

Schulze: „Moment. Geld in die Heimat überweisen, das kann doch nur jemand, der hier arbeitet und mehr verdient, als er zum Leben braucht. Dann reden wir nicht über Flucht, sondern über Arbeitskräfte – und die brauchen wir angesichts des Fachkräftemangels dringend.

Bei allen Schwierigkeiten, die wir gerade mit der Aufnahme und Integration haben, müssen wir darauf achten, dass wir attraktiv für internationale Arbeitskräfte bleiben. Fachkräfte-Einwanderung ist übrigens auch der Schlüssel, um illegale Migration zu senken.

Denn die Entwicklungsländer haben etwas davon, wenn sie legale Arbeitskräfte schicken können, dafür aber Migranten zurücknehmen, die in Deutschland kein Aufenthaltsrecht haben.“

Asylbewerber dürfen während ihres Verfahrens nicht arbeiten. Ihr Parteichef Lars Klingbeil kann sich eine verpflichtende gemeinnützige Arbeit für Asylbewerber vorstellen. Sie auch?

Schulze: „Ideen, die die Integration fördern, sollten wir ernsthaft diskutieren. Ich finde es grundsätzlich sinnvoll, wenn Flüchtlinge nicht zum Nichtstun verdammt sind.

Menschen davon abzuhalten zu arbeiten, führt nicht dazu, dass es ihnen besser geht. Die meisten wollen sich doch so schnell wie möglich hier einbringen.“

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Dieser Artikel stammt aus BILD. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.