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"Die Mittagsfrau" im Kino: Gelungene Verfilmung des Julia-Franck-Romans

Die Romanverfilmung "Die Mittagsfrau" erzählt die Geschichte einer jungen Frau in den Zeiten der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur. Schauspielerin Mala Emde brilliert als Hauptdarstellerin und konfrontiert den Zuschauer mit unangenehmen Fragen.

Der 2007 erschienene Roman "Die Mittagsfrau" ist der bis dato erfolgreichste der deutschen Schriftstellerin Julia Franck. Angelegt in den Anfängen des 20. Jahrhunderts erzählt das Buch die Lebensgeschichte der deutsch-jüdischen Christin Helene Würsich, die in der Zeit der Weimarer Republik in Bautzen und später in Berlin erwachsen wird. Mit dem Verlust ihrer großen Liebe und der nahenden Dunkelheit des Dritten Reiches beginnt für die junge Frau nicht nur ein Kampf um die eigene Existenz, sondern auch darum, wie die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Welt definiert wird.

In Francks Buch geht es aber nicht nur um die Suche nach Zugehörigkeit, sondern vor allem um die Kraft des Überlebens. Helene muss sich immer wieder gegen Widrigkeiten behaupten und sich in einer Epoche zurechtfinden, die von Verlust und Unsicherheit geprägt ist.

Im Jahr der Veröffentlichung wurde "Die Mittagsfrau" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet und ist mittlerweile in 37 Sprachen übersetzt worden. Da war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis der Roman seinen Weg auch auf die große Leinwand finden würde. Nun hat sich die österreichische Regisseurin Barbara Albert mit ihrer Hauptdarstellerin Mala Emde diesem Wagnis gestellt, denn wie schon Julia Francks Roman könnte auch der Film polarisieren.

Sehgewohnheiten ändern sich nicht mit der Brechstange

Anders als im Buch beginnt der Film nicht mit dem Ende. Eine dramaturgische Entscheidung, die den Zuschauern, die den Roman nicht gelesen haben, dabei helfen könnte, Helenes Entscheidungen nachzuvollziehen. "Die Mittagsfrau" handelt vom Verlust der eigenen Identität, von Kindesaussetzung und von den Erwartungen der Gesellschaft an Mütter und Frauen, in Hinsicht auf ihre Rollen, Männern und der Gemeinschaft zu dienen. Dass Roman und Film dabei vor und während des Zweiten Weltkrieges angesiedelt sind, ist der Handlungsrahmen, jedoch kein Muss. Helenes Geschichte ist in ihrem Kern zeitlos. Es ist aber vor allem dem Schauspiel von Mala Emde und der literarischen Vorlage zu verdanken, dass die Kino-Version der "Mittagsfrau" nicht zu einem üblichen Genre-Vertreter des Arthouse-Kinos gerät.

Barbara Albert und ihr Team widmen sich vollumfänglich ihrer Hauptdarstellerin und haben damit einen Film geschaffen, der das Buch zwar zum Leben erweckt, als eigenständiges Werk aber wenig bemerkenswerte Akzente setzt. Die Geschichte der "Mittagsfrau", die ihren Titel einem Naturgeist in weiblicher Gestalt aus der slawischen Sagenwelt entleiht, bietet mehr, als es dieser Film ermöglicht.

Laut den Worten von Mala Emde wollte man kein weiteres "verstaubtes Kostümdrama" inszenieren. Die Erzählweise jedoch so eng an den Charakter zu binden und den Zuschauer dabei ohne zeitliche oder geschichtliche Einordnung durch die Handlung stolpern zu lassen, könnte einige Kinogänger abschrecken. Ein Film ist eben kein Buch. Und Sehgewohnheiten werden nicht mit der Brechstange verändert.

Ein Prototyp der Selbsterkenntnis

Dass "Die Mittagsfrau" dennoch, neben Emdes Performance, ein Kinoticket wert ist, verdankt der Film auch seiner komplexen Protagonistin. Helene Würsich verkörpert ein Frauenbild, das im Kino viel öfter gezeigt werden sollte. Natürlich werden es Heldinnen und Helden in goldenen Rüstungen in der Literatur und Kinowelt immer leichter haben. Der Kampf eines Menschen gegen Vorurteile, gesellschaftliche Schablonen und festgefahrene Sichtweisen beginnt jedoch bei einem selbst.

Erst wenn der Blick in den Spiegel erträglich wird, kann man die Welt für sich und andere zu einem besseren Ort machen. Und das bedeutet auch, nicht immer populäre und gängige Entscheidungen zu vertreten. Liebe kann mehr als Fürsorge sein, Liebe ist manchmal eben auch Loslassen. Für diese Art von Entwicklung ist Helene Würsich ein Prototyp. Ein Umstand, den sicher nicht jeder teilen wird.

In Zeiten von unzähligen Streaming-Diensten und nicht enden wollendem Blockbuster-Kino werden es Produktionen wie "Die Mittagsfrau" auf der großen Leinwand aber immer schwerer haben. Denn wo im Roman durch Julia Francks fast schon schonungslosen Schreibstil ein facettenreiches Panorama aus Helenes Innenleben und der Welt am Abgrund um sie herum geschaffen wird, kratzt der Film nur an der Oberfläche. Helenes Leid ist in geschriebener Form greifbarer.

Die Kette des Kummers

Vor allem aber ist es Helenes Entscheidung, die sie als Quintessenz aus ihrem Dilemma zieht, die am Ende der Geschichte polarisiert und thematisiert werden sollte. Ihre Beweggründe mögen nachvollziehbar sein. Aber die Kette des Kummers und des Leids, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, kann damit nicht durchbrochen werden. Helene entscheidet sich für ein selbstbestimmtes Leben und wird mit dieser Entscheidung zum Schatten für ihr eigenes Kind.

Auch in diesem Teil der Geschichte weicht der Film von Barbara Albert mit Unterstützung der Roman-Autorin in seiner Aussagekraft vom Ende des Buches erheblich ab. Diese Form des freien Erzählens kann man befürworten, sollte aber bedenken, dass sie der Thematik an Kraft raubt und die notwendige Debatte damit sogar im Keim ersticken könnte. Viele Filmschaffende sind offenbar immer noch der Meinung, dass Kinogänger seichter angefasst werden müssten als Leser.

Unterm Strich ist "Die Mittagsfrau", trotz Schwächen, ein Film, der ein starkes Frauenbild zeichnet, wie man es im Kino nicht so oft erlebt. Helene Würsich ist ein Mensch, über den man sprechen muss!

"Die Mittagsfrau" läuft ab sofort in den deutschen Kinos