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Die Klimasünden der Baubranche: "Wir reißen in Deutschland zu viel ab"

Gebäudeabrisse sind für die Hälfte der Abfälle in Deutschland verantwortlich und tragen maßgeblich zu den CO2-Emissionen des Bausektors bei. Der neue Abriss-Atlas dokumentiert, wo und welche Gebäude abgerissen werden - mit der Hoffnung, ein Umdenken in der Branche zu bewirken.

Der Palast der Republik in Berlin war einst eines der bekanntesten Gebäude in Deutschland. In der Glasfront spiegelte sich das Außenministerium der DRR, der Berliner Fernsehturm thronte über dem ehemaligen Sitz des ostdeutschen Parlaments. Ein Gebäude aus einer anderen Zeit.

Heute steht an dieser Stelle das Humboldt-Forum. Fast zehn Jahre dauerte der Bau des Gebäudes. 100.000 Kubikmeter Beton und 20.000 Tonnen Stahl wurden für das Gebäude verbaut, wie die Stiftung Humboldt Forum selbst angibt. Ein immenser ökologischer Fußabdruck, der durch die Sanierung des alten DDR-Gebäudes möglicherweise hätte reduziert werden können.

Das Gebäude am Marx-Engels-Platz in Berlin ist nur ein Beispiel von vielen. Nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe werden in Deutschland jedes Jahr 14.000 Gebäude abgerissen. Einschließlich der Neubauten auf diesen Flächen werden dabei rund eine Million Tonnen Co2-Emissionen freigesetzt. Da ein großer Teil der Abrisse nicht genehmigungspflichtig ist, könnten diese Zahlen sogar noch viel höher sein.

Klimaziele gegen Wohnraum

Der Gebäudesektor ist seit Jahren ein Problem, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Im Jahr 2022 wurden im Gebäudesektor 112 Millionen Tonnen Klimagase emittiert. Nur der Verkehrssektor verursachte mehr Emissionen. Um die Klimaziele bis 2030 zu schaffen, müsste der Gebäudesektor 5,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr weniger ausstoßen.

Gleichzeitig fehlen in Deutschland schätzungsweise rund 700.000 Wohnungen. Am Wochenende hat die Bundesregierung deshalb einen 14-Punkte-Plan zur Förderung und Ankurbelung des Neubaus beschlossen. Der Bundeskanzler sprach von seriellem Bauen. Nun sollen Bauprojekte durch Steuervorteile unterstützt, Umweltstandards gesenkt und die Eigentumsförderung für Familien ausgeweitet werden.

Allerdings gab es keine Pläne für die Sanierung von Bestandsgebäuden. Verpflichtende Renovierungen einzelner Wohngebäude? Abgelehnt. Ein Programm für den Ankauf von sanierungsbedürftigen Häusern? Kommt frühestens in zwei Jahren. "Sie haben es geschafft, alle Klimaziele an nur einem Wochenende wegzuräumen", sagte Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), auf einer Pressekonferenz zu einem neuen Projekt über Gebäudeabrisse in Deutschland.

Mit dem neuen Abriss-Atlas sollen alle Gebäude erfasst werden, die vom Abriss bedroht sind - oder bereits zerstört wurden. Das breite Bündnis aus Architektur-, Kultur- und Umweltverbänden ist sich sicher: "Wir reißen in Deutschland zu viel ab", sagt Matthias Walter von der DUH bei der Online-Veranstaltung. "In der Branche und in der Politik ist das Thema noch nicht angekommen."

Abriss-Neubau günstiger als Sanieren?

Möglicherweise, weil die Kosten für einen Abriss-Neubau oft niedriger sind als für eine vollständige Renovierung. Aber das könnte sich bald ändern. Denn die Kosten für Neubauten sind seit Beginn der Pandemie rasant gestiegen. Der Baupreisindex für Wohngebäude ist von 2010 bis 2021 um 41 Prozent gestiegen. Im Mai dieses Jahres lagen die Wohnungsbaupreise um fast 9 Prozent höher als im Mai 2022.

Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie aus dem Jahr 2022 zeigt, dass eine Sanierung nicht immer teurer ist als ein Abriss von Neubauten. Dazu werden mehr Mittel für den Neubau freigesetzt, was den Kostenvergleich der beiden Optionen oft verzerrt.

Alexander Stumm, Architekt und Professor an der Universität Kassel, sieht aber noch einen anderen Grund für den Preisunterschied zwischen Sanierung und Neubau: "Weil die Kosten auf das Klima und die Umwelt ausgelagert werden", erklärt der Mitorganisator der Initiative Abrissmoratorium, die in einem Brief an Bauministerin Klara Geywitz den Stopp des Gebäudeabbruchs in Deutschland fordert.

Die Frage nach den Kostenunterschieden zwischen Neubau und Sanierung ist berechtigt, sagt Tim Rieniets, Architekt und Professor an der Leibniz Universität Hannover. Sie müsse aber anders beantwortet werden, als einfach mehr zu bauen. Zum Beispiel durch eine Anpassung der Sanierungsvorschriften. So stehen Bauvorschriften Sanierungsprojekten oft im Weg, weil die Anforderungen zu hoch sind und die Kosten in die Höhe getrieben werden. "Wir müssen dafür sorgen, dass das Renovieren und Erhalten billiger ist als der Neubau", so Rieniets.

Doch nicht immer können Bestandsgebäude für den neuen Zweck umgebaut werden. Der Palast der Republik wurde 13 Jahre vor seinem Abriss geschlossen und stand wegen der Emission von krebserregenden Asbestfasern leer. Außerdem hätten Pläne für ein Museum vielleicht nicht in ein altes Parlament gepasst.

Doch wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, muss der Bausektor nachziehen. Jährlich fallen mehr als 220 Millionen Tonnen Bauabfälle an. Über 50 Prozent der Abfälle in Deutschland entstehen durch den Abriss von Gebäuden. In Hannover haben sich Studierende Gedanken gemacht, wie diese Menge reduziert werden kann. Ihre Ideen werden in einer Ausstellung in Hannover präsentiert - in einem alten, leer stehenden Kaufhaus, das vom Abriss bedroht ist.