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Kryptos schrägster Vogel vor laufender Kamera verhaftet: Der tiefe Fall von Bitboy

Jetzt steht er da, allein, im Unterhemd. Einen Kameramann hat er keinen mehr, deshalb filmt er selbst. Und er filmt seine eigene Verhaftung, streamt sie ins Internet. 2500 Personen sind live dabei, als Ben Armstrong aka Bitboy am Montag von Beamten des Gwinnett County Sheriffs Departement verhaftet wird. Der einst bekannteste Kryptoinfluencer ist ganz unten angekommen. Doch so richtig wundern tut sich niemand.

Armstrong ist der Donald Trump der Kryptoszene: laut, prollig und ohne jegliche Scham. Ein Marktschreier in eigener Sache – aber mit dem Versprechen, für seine Gefolgschaft nur das Beste zu wollen.

Ben Armstrong alias Bitboy, Bild: Screebshot

Ben Armstrong, der Trump der Kryptoszene.bild: screenshot Youtube

2012 kommt Benjamin Charles Armstrong laut eigenen Angaben zum ersten Mal mit Bitcoin in Berührung. Die Geschichte, wie es dazu kam, variiert. Einmal heisst es, er habe bereits damals investiert. Dann wiederum, er habe Bitcoin bloss als Zahlungsmittel benutzt für sein Online-Ticketverkaufsystem. Kohärent in diesen Erzählungen ist eigentlich nur, dass der Bitcoin- und Krypto-Zug zuerst ohne ihn Fahrt aufnimmt. Armstrong sieht sich einer historischen Chance beraubt – noch einmal soll ihm das nicht passieren. 2018 beginnt er damit, Social-Media-Kanäle mit Kryptoinhalten zu bespielen.

Bitboy in Gucci auf Lambo. Das waren noch Zeiten.

Bitboy in Gucci auf Lambo. Das waren noch Zeiten.bild: Screenshot youtube

So richtig geht Bens Stern während des letzten Bullenmarkts ab 2019 auf. Die Kurse spielen verrückt. Je hirnrissiger das Projekt, desto höher die Rendite. Einzige Voraussetzung ist Publicity – und die kann Ben liefern. Parallel zu den Projekten schiessen in dieser Zeit die Kryptoinfluencer wie Unkraut aus dem Boden. Und obenauf schwimmt, wieder einmal, nicht die beste Qualität, sondern der lauteste Auftritt. Und den beherrscht Armstrong aus dem Effeff.

Bitboys Auftritte sind überzeugend. Ohne mit der Wimper zu zucken, preist er Projekte mit Worten an wie: «Was wäre, wenn es ein Projekt gäbe, das garantiert Gewinn abwirft?» Er gibt seinen Schäfchen, was sie wollen: die Hoffnung auf schnelles Geld. Die Wortwahl ist subtil. Nur wer genau hinhört, nimmt die geschickt eingebauten Konjunktive wahr. Auch der obligate Verweis, dass dies «keine Finanzberatung» sei, fehlt in seinen Videos nie – wird aber derart verballhornt, dass Ironie und Ernsthaftigkeit den User auf Schleuderkurs mitnehmen.

Gleichzeitig gibt er sich volksnah, erklärt rührselig von vergangenen Fehlern und wischt die Tränen mit dem Ärmel des Gucci-Trainers ab. Mehrere Male veröffentlicht er sein Kryptoportfolio: Ende 2021 hält er 135 Bitcoins und 1500 Ether. Sein Vermögen wird auf 20 bis 30 Millionen Dollar geschätzt, Millionen folgen ihm auf Social Media.

Und Bitboy wird immer dreister, bespricht Projekte, die ihn dafür fürstlich entlöhnen. Allein mit Promoarbeit könne er 100'000 Dollar pro Monat verdienen, prahlt er. Doch kaum werden die Videos publiziert, verlieren die Projekte innert kürzester Zeit deutlich an Wert. Bitboys Ruf gerät noch mehr ins Hintertreffen.

Als YouTuber Erling Mengshoel Jr. alias Atozy Bitboy in einem Video mehrfach einen Betrüger nennt – und diese Behauptungen belegt –, platzt diesem der Kragen. Er verklagt Atozy, unter anderem wegen übler Nachrede.

Doch der Fall sollte sich als Knieschuss erweisen. Jordan Fish, ein britischer Podcaster mit tadellosem Ruf in der Szene, spendet Atozy 100'000 Dollar für dessen Verteidigung. Auch ZachXBT, ein auf das Aufdecken von Betrugsfällen spezialisierter Twitter-User (heute X), stellt sich auf die Seite von Atozy. Bitboy zieht die Anklage zurück.

Immer mehr lässt sich Bitboy nun auf persönliche Infights mit gestandenen Persönlichkeiten der Szene ein, gibt sich geläutert, will nun plötzlich selbst investigativ recherchieren. Als das FTX-Konstrukt zusammenbricht (dessen Token er Wochen zuvor noch anpries), reist er auf die Bahamas, um dort FTX-Chef Sam Bankman-Fried zu stellen. Er geht ins Gym, will sich auch optisch wandeln, die Plauze durch dicke Muskeln ersetzen, ein Chad werden. Doch auch hier wählt er den Weg des kürzesten Widerstands und greift zu Steroiden.

Ende 2022 erhält Armstrong nach eigenen Angaben einen Brief der US-Börsenaufsicht (SEC). Er versteht den Schuss vor den Bug nicht, verhöhnt die Behörde und ihren Vorsitzenden Gary Gensler öffentlich.

Im März 2023 wird eine Sammelklage gegen diverse Kryptoinfluencer eingereicht – darunter auch gegen Ben Armstrong –, welche die insolvente Kryptobörse FTX aktiv beworben haben. In einer überraschenden Wendung wird er im September aus dem Anklagepapier gestrichen. Vieles deutet auf einen Vergleich hin.

Der eigentliche Knall erfolgt einen Monat später: Seiner Skandale überdrüssig, befördert seine eigene Firma Bitboy auf die Strasse. Und die Vorwürfe der Produktionsfirma (Hit Network) sind happig: Missbrauch von «Substanzen», Übergriffe auf Mitarbeiter, finanzielle Schädigung von Angestellten. In einem Fall soll er einen Proteinshake nach einem Mitarbeiter geworfen haben.

Wie Donald Trump ist auch Ben Armstrong ein Meister darin, sich als Opfer darzustellen. In einem tränenreichen Video gibt er sich geläutert, gibt den Konsum von Steroiden zu und seine Frau betrogen zu haben. Seine Geliebte, eine Frau namens Cassie, erhielt vom Hit Network 50'000 Dollar pro Monat.

Das sei nun aber alles Vergangenheit, schwört Bitboy. Er werde sich bessern. Hit Network und seinen Angestellten wünscht er nur das Beste ... um sie kurz darauf zu verklagen. Über 150'000 Dollar kommen zusammen, als er seine Fans dazu aufruft, ihn finanziell zu unterstützen. Man habe ihm nicht nur sein Geld, sondern auch den Lamborghini genommen.

Diesen wollte er gestern nun social-media-wirksam von einem ehemaligen Mitarbeiter zurückholen – und kündigte seinen Stunt eine Stunde zuvor noch an.

I’ll be going live soon from a very special location on YouTube so get ready this is going to be good

— Ben Armstrong (@BenArmstrongsX) September 25, 2023

Über 30 Minuten filmt er sich selbst vor dem Anwesen seines ehemaligen Mitarbeiters. Dann schreitet die Polizei ein. Als er bei seiner Verhaftung gefragt wird, ob er eine Waffe bei sich habe, gibt er zu Protokoll, eine solche in seinem Fahrzeug verstaut zu haben. Ob sich dort noch jemand befinde? Ja, eine Frau namens Cassie.

Nach acht Stunden Haft wurde Ben Armstrong, ehemals Bitboy, unter Kaution wieder freigelassen. Seither glüht sein Twitter X-Profil. Er werde Cassie nie fallenlassen. Und Hit Network sei eine kriminelle Bande.

To be continued – wenigstens so lange, wie es Fans gibt, die ihn finanziell unterstützen.

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Video: srf/SDA SRF