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Kommentar zum Klimawandel: Können wir endlich wie Erwachsene handeln?

Kommentar zum KlimawandelKönnen wir endlich wie Erwachsene handeln?

Regierung, Parteien, Unternehmen, Konsumentinnen, Stimmbürger: Wir müssen aufhören, uns gegenseitig die Verantwortung für den Klimaschutz zuzuschieben.

Während wir über Klimakleber diskutieren, schmelzen die Gletscher: Blick auf mit Vlies bedeckte Skipisten vor der Berninagruppe.

Während wir über Klimakleber diskutieren, schmelzen die Gletscher: Blick auf mit Vlies bedeckte Skipisten vor der Berninagruppe.

Foto: Gian Ehrenzeller (Keystone)

Wir sitzen in einem Boot. Das Boot fährt auf einen Wasserfall zu. Und wir streiten darüber, ob wir ans linke oder rechte Flussufer rudern wollen – oder doch lieber tatenlos zusehen, wie das Boot in die Tiefe stürzt und zerschellt.

Nein, diese Analogie ist nicht überzeichnet. Sie beschreibt genau die Debatte, die wir zum Klima führen – in vollem Bewusstsein der nahenden Katastrophe.

Die Situation, in der wir uns befinden, ist allgemein bekannt. Ungefähr fünf Jahre bleiben beim derzeitigen Niveau der jährlichen Treibhausemissionen – dann wird sich die Erde um 1,5 Grad erwärmen. Dieses Zeitfenster schrumpft kontinuierlich: 2020 ging die Klimawissenschaft noch davon aus, dass es doppelt so gross sei. Diesen Juni wurde der Wert jedoch halbiert – weil inzwischen zusätzliches CO₂ in die Luft gelangt ist und weil die Forschung heute noch besser versteht, wie die verschiedenen Rückkopplungseffekte auf der Erdoberfläche und in der Atmosphäre den Klimawandel beschleunigen.

Doch diese Neuigkeit wurde in keiner Schweizer Zeitung erwähnt. Stattdessen wurde ausgiebig darüber diskutiert, ob es okay oder nicht okay sei, wenn sich Klimaaktivistinnen auf der Strasse festkleben und den Verkehr aufhalten.

Wir zeigen immer auf die anderen

Konfrontiert man Kinder mit einer unangenehmen Botschaft («Du musst jetzt die Zähne putzen!»), dann reagieren sie manchmal gar nicht darauf – und tun so, als hätten sie die Botschaft gar nicht gehört. Viele erwachsene Menschen in der Schweiz verhalten sich genauso, wenn es um den Klimawandel geht. Sie ignorieren das Problem einfach. Oder sie reden es klein und versteigen sich zu absurden Aussagen wie: Besser, die Welt wird 2 Grad wärmer als 2 Grad kälter.

Ein weiteres, sehr verbreitetes Verhalten ist: die Verantwortung abzuschieben. Wie gelingt es, die Treibhausgasemissionen zu verringern? Ökonomen spielen den Ball gerne der Politik zu: Sie müsse nur dafür sorgen, dass Emissionen einen angemessenen Preis hätten – etwa mit Steuern auf Benzin, Heizöl und Gas oder mit Emissionshandelssystemen, die indirekt dafür sorgen, dass diese fossilen Energien so viel kosten, dass die Leute weniger davon verbrauchen.

Diese Idee ist im Prinzip gut. Doch sie berücksichtigt nicht, dass Politiker auch gerne den Ball weiterspielen. Und zwar ans Volk: Dieses dürfe nicht mit Steuern oder Abgaben vergrault werden – sonst rebelliert es am Ende gegen die Politik. Und wählt womöglich Parteien, die behaupten, es brauche einschneidende Massnahmen für den Klimaschutz gar nicht, denn Konsumentinnen könnten sich angeblich auch ganz in Eigenverantwortung klimafreundlich verhalten.

Mit dieser Eigenverantwortung ist es freilich nicht weit her. Per Flugzeug in ferne Länder fliegen ist etwas vom Schädlichsten, was man fürs Klima tun kann. Trotzdem reisen seit der überwundenen Pandemie wieder Touristen in Scharen auf die Malediven, nach Südafrika oder in die Karibik – währenddessen daheim in der Schweiz die Gletscher im Rekordtempo abschmelzen: 2022 verloren sie in einem Jahr so viel Eis wie früher während dreissig Jahren.

Erklärungen dürfen keine Ausflüchte sein

Sicher: Man kann dieses Verhalten soziologisch erklären. Menschen agieren eigennützig, wenn sie nicht auf die Kooperation von anderen zählen können. Sie sind selten bereit, sich im Hinblick auf ein langfristiges, übergeordnetes Ziel einzuschränken – also etwa: auf Rindfleisch verzichten, damit ihre Enkelkinder dereinst in einem halbwegs intakten Klima leben – wenn sie keine Garantie erhalten, dass andere Menschen sich nicht ebenfalls freiwillig einschränken.

Man kann es ökonomisch auch nachvollziehen, wenn Leute nicht bereit sind, gewisse Investitionen fürs Klima zu tätigen – zum Beispiel in eine neue Wärmepumpe, wenn die alte Gasheizung noch funktioniert. Es kann ja sein, dass jemand plant, sein Haus zu verkaufen: Dann lohnt sich das subjektiv nicht.

Und es ist aus psychologischer Sicht auch begreiflich, wenn Leute sich denken: Was kann ich denn dafür, dass die Wirtschaft so CO₂-lastig ist? Die wahren Schuldigen für den Klimawandel sitzen doch in den Konzernzentralen von Shell und Glencore – solange diese Unternehmen weiter Milliardengewinne mit Erdöl und Kohle scheffeln, muss ich mich überhaupt nicht verändern.

Nun: All das sind vielleicht gute Erklärungen dafür, dass wir im Kollektiv irrational handeln – sprich, es als Gesellschaft versäumen, der fortlaufenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten. Aber es dürfen trotzdem keine Ausflüchte sein, um den Sand in den Kopf zu stecken.

Der Klimawandel ist das grösste Risiko, dem die Menschheit je ausgesetzt war. Wenn wir auch nur irgendetwas dagegen tun wollen, dann müssen wir endlich wie Erwachsene mit dem Thema umgehen. Und aufhören, als Politikerinnen, Unternehmer und Konsumenten ständig die Verantwortung abzuschieben.

Simon Schmid ist Redaktor im Ressort Wirtschaft. Er hat Soziologie und Ökonomie studiert und unterrichtet Datenjournalismus am MAZ Luzern und an der Fachhochschule Nordwestschweiz.Mehr Infos@schmid_simon

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