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Klimawandel im Alpenraum: Oberländer Gletscher kommen mit einem dunkelblauen Auge davon

Klimawandel im AlpenraumOberländer Gletscher kommen mit einem dunkelblauen Auge davon

Der Sommer 2023 war für die Gletscher im Berner Oberland der zweitschlimmste überhaupt. Ein Faktor hat einen noch stärkeren Rückgang verhindert.

Die Gletscher im Berner Oberland sind auch im Sommer 2023 erneut stark zurückgegangen: der Wendengletscher im Sustengebiet, unterhalb des Titlis.

Die Gletscher im Berner Oberland sind auch im Sommer 2023 erneut stark zurückgegangen: der Wendengletscher im Sustengebiet, unterhalb des Titlis.

Foto: Bruno Petroni

Die Zahlen rütteln auf: Nachdem die Gletscher im Alpenraum schweizweit bereits im Jahr 2022 rekordhohe 6 Prozent ihres Volumens einbüssten, haben sie im vergangenen Sommer weitere vier Prozent verloren. Es handelt sich um den «zweitstärksten Rückgang seit Messbeginn», wie die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (Scnat) am Donnerstag mitgeteilt hat.

Die beschleunigte Gletscherschmelze wird als «dramatisch» bezeichnet. Allein in den letzten zwei Jahren sei so viel Eis verloren gegangen wie im gesamten Zeitraum «zwischen 1960 und 1990». Die jüngsten grossen Volumenverluste führt Scnat auf den «sehr schneearmen Winter und hohe Temperaturen» zurück.

«Glück» im westlichen Oberland

Der starke Gletscherrückgang ist zwar in der ganzen Schweiz feststellbar, es gibt jedoch regionale Unterschiede. Besonders stark getroffen hat es dieses Jahr den Süden und den Osten des Landes – etwa das südliche Wallis oder das Engadin –, wo die Gletscher fast im selben Ausmass schmolzen wie im Rekordjahr 2022.

«Letzten Winter lag dort verhältnismässig viel Schnee. Das hat den Gletscher etwas länger geschützt.»

Glaziologe Matthias Huss zum Rückgang beim Plaine-Morte-Gletscher

Etwas glimpflicher davon kam das Berner Oberland: «Insbesondere das westliche Oberland war schweizweit noch am besten dran», sagt Matthias Huss, Glaziologe und Leiter von Glamos, dem Schweizer Gletschermessnetz der ETH Zürich sowie der Universitäten Freiburg und Zürich. Huss nennt als Beispiel den südlich des Wildstrubels an der Lenk gelegenen Plaine-Morte-Gletscher. Normalerweise leide er durch seine Ausrichtung besonders stark. «Letzten Winter lag dort aber verhältnismässig viel Schnee. Das hat den Gletscher etwas länger geschützt», erklärt Huss.

Der Plaine-Morte-Gletscher oberhalb der Lenk kam im vergangenen Sommer gehörig ins Schwitzen.

Der Plaine-Morte-Gletscher oberhalb der Lenk kam im vergangenen Sommer gehörig ins Schwitzen.

Foto: Bruno Petroni

Grund zum Aufatmen ist dies freilich nicht. «Die Situation ist trotzdem gravierend. Auch für den Plaine-Morte-Gletscher war es das zweitschlimmste Jahr seit Beginn der Messungen», sagt der Professor der Glaziologie. In Zahlen ausgedrückt: Betrug der Rückgang der Eisdicke 2022 noch 5 Meter, waren es im zu Ende gegangenen Sommer rund 3 Meter.

Ähnlich verhielt es sich beim südlich der Jungfrau gelegenen Aletschgletscher. Auch dort lag im Winter etwas mehr Schnee als im Jahr zuvor, was bis in den Frühling hinein einen gewissen Schutz bot. Insgesamt verloren die Gletscher im Grenzbereich zwischen den Kantonen Bern und Wallis im Schnitt über 2 Meter an Dicke.

Der Aletschgletscher auf Höhe des Aletschgletschertors beim Märjelensee (VS) im Jahr 2013…

Der Aletschgletscher auf Höhe des Aletschgletschertors beim Märjelensee (VS) im Jahr 2013…

Foto: Bruno Petroni

...und rund neun Jahre später von der genau gleichen Stelle aus fotografiert: Der Gletscher hat inzwischen rund 40 Meter an Höhe verloren.

...und rund neun Jahre später von der genau gleichen Stelle aus fotografiert: Der Gletscher hat inzwischen rund 40 Meter an Höhe verloren.

Foto: Bruno Petroni

Hauptgrund Hitzesommer

Was ist nun aber stärker negativ ins Gewicht gefallen – der niederschlagsarme Winter oder der heisse Sommer? «Der Rückgang ist dieses Jahr etwa je hälftig auf die beiden Faktoren zurückzuführen», hält Matthias Huss fest. Über einen längeren Zeitraum betrachtet seien es vor allem die wärmeren Temperaturen in den Sommermonaten, die den Gletschern zusetzten. «2022 und 2023 kamen die trockenen Winter erschwerend hinzu. Es zeigt sich aber kein klarer klimatischer Trend, dass solche Winter zum Normalfall werden», so Huss.

Aufgrund der anhaltenden Gletscherschmelze kommt es immer häufiger zum Zerfall von Gletscherzungen. Zudem trennen sich zusammengewachsene Gletscher voneinander ab – so geschehen kürzlich beim Scex-Rouge- und Zanfleuron-Gletscher im Grenzgebiet der Kantone Bern, Wallis und Waadt.

Im Grenzgebiet der Kantone Bern, Wallis und Waadt hat sich der Zanfleurongletscher (r.) im Sommer 2023 vom Scex-Rouge-Gletscher abgetrennt. Es ist nur eines von vielen Beispielen für den erneut massiven Gletscherrückgang der vergangenen Monate.

Im Grenzgebiet der Kantone Bern, Wallis und Waadt hat sich der Zanfleurongletscher (r.) im Sommer 2023 vom Scex-Rouge-Gletscher abgetrennt. Es ist nur eines von vielen Beispielen für den erneut massiven Gletscherrückgang der vergangenen Monate.

Foto: Bruno Petroni

Sommerschnee rasch wieder weg

Viele kleinere Gletscher verschwinden teils komplett von der Landkarte. Wo genau dies im Berner Oberland der Fall ist, wird sich laut Glaziologe Huss erst in drei Jahren wieder zeigen, wenn für diese Region turnusgemäss die Gletscherinventarisierung durch Glamos ansteht. «Es ist sehr wahrscheinlich, dass bis dahin einige kleine Gletscher verschwunden sein werden», sagt Huss.

Zuletzt kam es Ende August zu einem neuen Rekord bei der Nullgradgrenze. Und auch im September herrschten in den Berner Alpen wochenlang überaus milde Bedingungen. Dies war mitverantwortlich, «dass vereinzelte Sommerschneefälle meist wieder rasch dahinschmolzen und daher den Gletschern kaum halfen», wie die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz schreibt.

Gabriel Berger ist Redaktor und zuständig für das Ressort Stadt Thun. Er arbeitet seit dem Jahr 2010 für den Lokalteil dieser Zeitung.Mehr Infos

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