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Gesetzesbruch von Marco Chiesa: «Man muss die Gesetze respektieren, das gilt für alle»

Gesetzesbruch von Marco Chiesa«Man muss die Gesetze respektieren, das gilt für alle»

Die Treuhandfirma Ticiconsult von Marco Chiesa war über ein Jahr lang nicht gesetzeskonform geführt. Tessiner Politiker üben nun scharfe Kritik am SVP-Präsidenten.

SVP-Politiker Marco Chiesa will in den kommenden Wahlen seinen Ständeratssitz verteidigen.

SVP-Politiker Marco Chiesa will in den kommenden Wahlen seinen Ständeratssitz verteidigen.

Foto: Anthony Anex (Keystone)

Das Bundesparlament hat am Freitag seine Legislatur beendet. Viele Ratskolleginnen und -kollegen erfuhren erst jetzt, dass Marco Chiesa, Ständerat und Präsident der SVP Schweiz, und SVP-Nationalrat Piero Marchesi eine Treuhandfirma namens Ticiconsult besitzen. Und auch, dass Chiesa und Marchesi gegen das Tessiner Treuhandgesetz verstossen hatten. Ticiconsult hatte im Handelsregister über ein Jahr lang keine Person eingetragen, die im Treuhandregister figurierte.

Chiesa befindet sich zurzeit im Wahlkampf – er kandidiert wieder für den Ständerat. Und dies, ohne gleichzeitig für den Nationalrat anzutreten. Der SVP-Mann geht also ein grosses Risiko ein.

Chiesas Konkurrenten im Kampf um einen der zwei Ständeratssitze üben wegen Ticiconsult nun Kritik. Gerade in der Tessiner Treuhandbranche müssten «die Regeln zu 150 Prozent eingehalten werden», sagt Kandidat Bruno Storni, Tessiner SP-Nationalrat und Softwareunternehmer. Zu oft sei sein Heimatkanton wegen Schwarzgeldskandalen in die Schlagzeilen geraten, weswegen man klare Regeln habe einführen müssen. Für Chiesa und Marchesi sei der Gesetzesbruch auch bedenklich, weil sie im aktuellen Wahlkampf alle aufforderten, zu 100 Prozent für Schweizer Werte einzustehen.

Die Tessiner SVP-Politiker Marco Chiesa (links) und Piero Marchesi (Mitte) besitzen eine Treuhandgesellschaft, die eine zentrale Vorschrift im Tessiner Treuhandgesetz über ein Jahr lang nicht erfüllte.

Die Tessiner SVP-Politiker Marco Chiesa (links) und Piero Marchesi (Mitte) besitzen eine Treuhandgesellschaft, die eine zentrale Vorschrift im Tessiner Treuhandgesetz über ein Jahr lang nicht erfüllte.

Foto: Alessandro Crinari (Ti-Press, Keystone)

Kritik übt auch Kandidatin Greta Gysin, Nationalrätin der Grünen. «Gesetze müssen eingehalten werden», sagt sie. «Wenn es bei Ticiconsult zu Verstössen gekommen ist, so muss das – wie bei allen Bürgerinnen und Bürgern – geahndet werden.» 

Ähnlich argumentiert ein dritter Konkurrent, FDP-Nationalrat Alex Farinelli: «Man muss die Gesetze respektieren, das gilt für alle.» Wenn man einen Fehler mache, sollte man dazu stehen. Ihn erstaune, sagt Farinelli, dass die Ticiconsult-Leute bei dieser Ausgangslage von einer Polemik redeten.

Wir nicht, die anderen auch

Die Ticiconsult-Verantwortlichen Chiesa und Marchesi haben sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen. Gemäss ihnen genügte bei Ticiconsult ein Anwalt als Gesellschafter. So hätten sie auf eine im Treuhandregister eingeschriebene Person verzichten können, argumentieren die SVP-Politiker. Stattdessen beklagen sie eine über die Medien geführte Wahlkampagne gegen sie. In einem Anwaltsschreiben weisen sie darauf hin, dass auch andere Tessiner Politiker treuhänderisch tätig seien, ohne einen Angestellten mit Eintrag im Treuhandregister zu beschäftigen.

Für mehrere unabhängige Fachleute, darunter die beiden Chefs der Tessiner Treuhandaufsicht, liegen Chiesa und Marchesi mit der Einschätzung ihrer eigenen Rechtssituation falsch. Das kantonale Treuhandgesetz schreibt vor: Mindestens ein Treuhänder oder eine Treuhänderin mit Anerkennung braucht es zur Führung eines Treuhandunternehmens. Bei der Firma der SVP-Politiker war dies rund 14 Monate lang nicht der Fall. 

Andere Nationalräte sind clean

Bleibt der zweite Punkt, den die Ticiconsult-Verantwortlichen ins Feld führen: Gibt es andere Tessiner Politikerinnen oder Politiker, die ein ähnliches «Treuhandthema» haben?

Eine Überprüfung der Situation bei der Tessiner Delegation im Bundeshaus durch diese Redaktion zeigt: Mehrere Nationalräte haben im Handelsregister Firmen verzeichnet, aber niemand ein Treuhandunternehmen. Der abtretende Freisinnige Rocco Cattaneo besitzt beispielsweise eine Holdinggesellschaft, mit der er gemäss eigenen Angaben zwei familieneigene Unternehmen kontrolliert. Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi wiederum – auch er ein Konkurrent von Chiesa im Ständeratswahlkampf – hat eine Immobilienfirma registriert. Sie verwaltet laut ihm die Immobilien seines Familienunternehmens. Cattaneo wie Regazzi betonen, ihre Firmen seien nicht für Dritte aktiv. 

Unternehmen in der Art von Cattaneos Holding und Regazzis Immobilienverwaltung sind vom Tessiner Treuhandgesetz nicht betroffen. Dies hält Giuseppe Colombi, Geschäftsführer der kantonalen Treuhandaufsicht, fest. Gemäss ihm würde das Treuhandgesetz bei diesen Unternehmen dann greifen, wenn sie treuhänderische Dienstleistungen für Dritte erbringen würden. Aber genau dies tun sie gemäss Darstellung der Politiker nicht. 

Fabio Regazzi will den Fall Ticiconsult im Übrigen nicht kommentieren. Bei der Tessiner Ständeratswahl wird für beide Sitze ein knapper Ausgang erwartet. Chiesas Ratskollegin Marina Carobbio (SP) trat im April zurück, da sie in die Tessiner Regierung gewählt worden war. Ihr Sitz blieb vorerst vakant. Sie wird erst mit den eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober ersetzt.

Thomas Knellwolf ist Bundeshaus-Korrespondent, mit Schwerpunkt Justiz und Nachrichtendienst. Bei Tamedia hat er den Recherchedesk mitaufgebaut und geleitet. Er ist Autor mehrerer Sachbücher. Kontakt über Threema EKK58SS4 oder E-Mail vorname.nachname (at) tamedia.chMehr Infos@KneWolf
Philippe Reichen ist seit 2012 Westschweizkorrespondent mit Sitz in Lausanne. Er hat an den Universitäten in Zürich und Freiburg im Breisgau Geschichte, Philosophie und Allgemeines Staatsrecht studiert.Mehr Infos@PhilippeReichen

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